Textil- und Seidenmuseum luden nach Krefeld ein

„Antiker Seidenglanz neu erschaffen“, das war Ziel und zugleich Titel eines ganz besonderen Webkurses, der jetzt vom Deutschen Textilmuseum und dem Haus der Seidenkultur (HdS) – der vormaligen Paramentenweberei Hubert Gotzes - gemeinsam angeboten wurde. Im ältesten Jacquard-Handwebsaal Europas trafen sich an der Luisenstraße Spezialistinnen aus den Niederlanden, Belgien, Tschechien und dem Bundesgebiet, um in Krefeld mehr über antike Seidenstoffe und deren Webarten zu erfahren.

Eine Woche lang wurden gemeinsam die antiken Gewebe analysiert, Muster entworfen, Webstühle vorbereitet und Beispiele gewebt. Dipl. Ingenieur Dieter Blatt hatte dazu mit seinem HdS-Team von Ehrenamtlern in der ehemaligen Paramentenweberei Hubert Gotzes Rahmenbedingungen für den von Textilarchäologin Barbara Thomas geleiteten Kurs geschaffen.

Der Kurs entstand auf Initiative von Dr. Annette Paetz gen. Schieck, Direktorin des Deutschen Textilmuseums Krefeld. Ohne die faszinierenden antiken Beispiele, die im Archiv des Museums schlummern, wären Projekt und Kurs nicht denkbar gewesen. Bereits 2019 wurden die Grundlagen für den aktuellen Kurs geschaffen, wo die Muster der antiken Stoffe auf moderne Webstühle übersetzt und durch ihre detaillierte Nachwebung wieder zum Leben erweckt wurden. Möglich wurde das Projekt durch eine Förderung der Sparkassen-Kulturstiftung Krefeld.

Die Teilnehmerinnen des ersten Webkurses. Mit dabei Ina Matoni vom Haus der Seidenkultur (links), daneben die Direktorin des Textilmuseums, Dr. A. Schieck und Kursleiterin Barbara Thomas. HdS-Foto: Brenner

 

Der Kurs richtete sich ebenso an Fachleute aus Museen und Sammlungen mit über tausend Jahre alten Textilien wie auch an erfahrene Weberinnen und Weber. Aus Amsterdam, Brüssel, Prag, vom Bodensee und aus Köln kamen die Spezialistinnen nunmehr nach Krefeld, um sich über antike Seidenstoffe und deren Webarten zu informieren und zu lernen, wie man sie an modernen Handwebstühlen nachwebt.

Samit und Taqueté, so heißen die Techniken der mehrfarbigen Stoffe. Dabei wird nicht nur eine Partie von Kettfäden für den Stoff aufgespannt, sondern gleich zwei. Mit einem ausgeklügelten System aus Bindung und Muster entstanden Textilien mit eingewebten Mäandern, Medaillons und ganzen Bildergeschichten. „Es war unglaublich aufwändig, diese Stoffe herzustellen. Nicht nur die Materialien sind sehr fein, sondern auch die Webtechnik erfordert sehr viel Aufmerksamkeit. Die Webstühle waren damals speziell für solche gemusterten Stoffe ausgerüstet, aber man schaffte trotzdem nur wenige Zentimeter am Tag“ erzählt Kursleiterin Barbara Thomas.

Im Haus der Seidenkultur wurde für den Kurs extra ein Webstuhl umgebaut: Zwischen den vergleichsweise jungen Jacquard-Maschinen des 19. Jahrhunderts konnten die Teilnehmerinnen mit einer ganz speziellen Einrichtung eigene Entwürfe realisieren. Dafür wurden in einen einfachen Webstuhl sogenannte Nagelschäfte eingebaut: Sie ermöglichen es, dass man jeden einzelnen Faden für ein Muster ansteuern kann. Gerade entsteht ein Stoff, der in großen Lettern das Wort „Seidenkultur“ zeigt. Das ist zeitaufwändig und schnell wird klar, warum die Erfindung der Jacquard-Maschine Anfang des 19. Jahrhunderts eine solche Revolution auslöste. „Wie genau die Webstühle für die gemusterten Stoffe vor 1500 Jahren ausgesehen haben wissen wir leider nicht, da sich keine Webstühle oder Zeichnungen davon erhalten haben. Deshalb nähern wir uns der Technik mit modernem, aber einfachem Webgerät.“ erklärt die Textilarchäologin.

Feine Seidenfäden werden zu einem gemusterten Gewebe. HdS-Fotos (3): Thomas

Unglaublich, wie die Menschen das damals gemacht haben!

Dabei stehen beim praktischen Teil Dieter Blatt und Ina Matoni vom HdS mit Rat und Tat zur Seite. Und gewebt wurde viel: Im Haus der Seidenkultur konnten sich die Teilnehmerinnen an fünf modernen Hand-Webstühlen in verschiedenen Techniken versuchen. Mal sind es detailgetreue antike Muster in feinen Garnen, mal gab es die Möglichkeit, eigene Entwürfe in glänzender Seide zu verwirklichen. Dabei wurde viel über die antiken Techniken gefachsimpelt und so mancher Trick aus dem Arbeitsalltag in der modernen Handweberei ausgetauscht. „Es ist unglaublich, wie die Menschen das damals gemacht haben. Wenn man das selbst ausprobiert, dann bekommt man ein Verständnis dafür, welche Kostbarkeiten solche Stoffe sind.“ ergänzt eine Teilnehmerin.

Bei einem Besuch im Textilmuseum wächst der Respekt vor den Originalen weiter: „Jetzt, wo man die technische Seite der Textilien verstanden hat, sind sie noch großartiger!“ bestätigt die Weberin aus Köln. Direktorin Dr. Annette Paetz hat sich extra Zeit genommen, um mit den Teilnehmerinnen die Besonderheiten der Stoffe zu besprechen und die Tradition der Rekonstruktion zu zeigen.

Das Weben der gemusterten Stoffe erfordert große Konzentration.

 

Krefelder Gewebesammlung

Bereits in den frühesten Anfängen der Krefelder Gewebesammlung unter dem damaligen Direktor Paul Schulze wurden Nachwebungen der faszinierenden antiken Seiden angefertigt. „Die Krefelder Gewebesammlung wurde Ende des 19. Jahrhunderts zu dem Zweck angelegt, die Auszubildenden der Gewebeschule zu trainieren, sie Techniken analysieren zu lassen und sie zu inspirieren. Vielleicht gehören auch die Nachwebungen, die wir aus dieser Zeit haben, zu den Aufgaben, die die Schüler damals meistern mussten“ erklärt die Direktorin.

Am Ende des Kurses halten alle Teilnehmerinnen mit Stolz ihre selbst gewebten Musterstücke in der Hand. Ein wenig Erschöpfung ist nach der intensiven Woche zu spüren, aber es überwiegt ganz klar die Freude auf den Gesichtern. Die Musterstücke sind bei weitem nicht das Einzige, was die Teilnehmerinnen aus Krefeld mitnehmen: „Die kleinen Übungsstücke sind etwas ganz Besonderes für mich. Ein Muster entwerfen, sehen wie es mühsam wächst und sich der Entwurf vom Papier auf das Textil übertragen lässt“, bilanziert eine Teilnehmerin.

Und: „Es erfüllt mich mit großer Ehrfurcht, mit dem nun Erlebten an die Originale zu denken. Zu wissen, dass sie ohne Kästchenpapier, Mikroskop, Tageslichtlampen und Sehhilfen entstanden sind. Ich nehme so viel Wissen über die komplexen Webtechniken mit, tolle Kontakte und noch mehr Lust an dem, was ich täglich tue.“

Fazit der Kurs-Absolventinnen: „Wir haben so viel gesehen, erfahren, gelernt. Es war ein ganz außergewöhnlicher Kurs, der sicherlich noch lange nachwirken wird.“

Der Kurs hat nach Aussage der Teilnehmerinnen nicht nur mit Textilien, sondern auch mit der einzigartigen Kombination von Fachwissen und praktischer Arbeit geglänzt, die so nur in Krefeld möglich ist. Ob es eine Fortsetzung der Kurse gibt? Wenn es nach den Teilnehmerinnen geht: „Auf jeden Fall! Textile Geschichte(n) hat Krefeld noch viele zu bieten!“

Vor dem Weben steht das komplizierte Einrichten der Webstühle.